Neue Friesen braucht der Strand  – Kapitel 5

Neue Friesen braucht der Strand – Kapitel 5

Folkeldis – Mädchen in den Schänken

Um 1560 erschien Okkos jüngstes Töchterlein, Folkeldis Poppen auf der Weltbühne. Das dunkle Mittelalter war beendet und die lichte Neuzeit begann. Wie nicht anders zu erwarten, begann sie mit Ärger. Während Folkeldis eine halbwegs unbeschwerte Kindheit in der Krummhörn erlebte – Ostfriesland war immer noch durch Hoch- und Niedermoore stark zerklüftet und schwer zu erreichen – hatte sich Emden zu einer Metropole des Handels und der Heringsfischerei entwickelt. Zwischen Den Helder und Esbjerg gab es keinen weiteren Tiefwasserhafen direkt an der Küste. Die Emder hatten es nie nötig sich der Hanse anzuschließen, was allerdings auch zu häufigen Meinungsverschiedenheiten mit eben dieser führte. So kam das Haus derer zu Poppen in der Abgeschiedenheit der Marsch zu bescheidenem Wohlstand. Zum liebreizenden Anblick der jungen Folkeldis kam neben einer spitzen Zunge so auch eine ansehnliche Aussteuer. Zum anderen arbeitete sie bereits in jungen Jahren in der Dorfschänke ihres Onkels als Schankmaid – was die spitze Zunge erklärt. Folkeldis hatte damit reichlich Zugriff auf interne Informationen die am Tresen zum Besten gegeben wurden wie auch auf schmucke Jungbauern zwecks Knüpfung sozialer Kontakte. Wieder zu Hause klagte sie ihrer ebenfalls chronisch gut informierten Mutter die Redseligkeit und Schlechtigkeit der Bauern. Im Gegenzug erklärte ihr Mama Poppen die Zusammenhänge, welche sie wiederum auf dem Markt und in der Kirche von den Bäuerinnen und deren Töchtern erfahren hatte. Es ist also nicht verwunderlich, dass Folkeldis in der Zwischenzeit als alleinerziehende Mutter zweier Kinder sozial anrüchig war. Jedoch konnte sie durchaus überzeugen und war plötzlich alleinerziehende Mutter dreier Kindsköpfe – aber immerhin verheiratet. Geld macht sexy, Sex sells und Wissen ist Macht – Folkeldis Gatte wurde dadurch zwar formbarer aber nicht zwangsläufig erwachsener…

Die kriegerischen Auseinandersetzungen schienen im Festlandseuropa langsam abzuebben. Das dürfte allerdings weniger den gekrönten Häuptern und deren pazifistischen Grundeinstellungen geschuldet sein als mehr dem Faktum, dass Kriege neben Menschenleben vor allem viel Geld kosten. Da Kriege auf Augenhöhe selten wirklich lukrativ sind, und gewinnversprechende Grenzverschiebungen noch seltener endgültig, ging den europäischen Höfen regelmäßig das Geld aus. Wer nicht in der Lage war, Kolonien in Übersee rigoros auszuplündern, musste für derlei Unterfangen zwangsläufig einen Geschäftskredit aufnehmen. Nur große Bankhäuser wie das der Fugger konnten solche Summen finanzieren und die ließen sich ihr finanzielles Engagement und Risiko vor allem mit Einfluss und Macht verzinsen, was zwangsläufig zu einem Macht- und Geldverlust beim Kreditnehmer führt. Außerdem war man gerade mit Kleinkram wie Bauernaufständen und theologischen Grundsatzdisputen beschäftigt. Es war die Sorte konstant schwelender Unruhe, die entsteht, wenn Machthabende zu viel Macht haben und die Ausübung dieser mächtig übertreiben. Es war die trügerische Ruhe vor dem Sturm, in dem das Schiff Europa gänzlich aus dem Ruder lief um 30 Jahre später buchstäblich wie ein Phönix aus der Asche neu zu entstehen.

Doch bis zu diesem denkwürdigen Tag im Jahre des Herrn 1618 hatte Folkeldis noch eine lange, glückliche und intrigenreiche Zeit vor sich. Sie zog mit ihrer Familie nach Emden und betrieb dort erfolgreich – eine Schänke. Als Wirtin hörte sie nun den redseligen Seeleuten zu, wenn sie über eine geheimnisvolle Insel schwadronierten. Von einem riesigen Riff umgeben winkten und riefen wohlgestaltete Insulanerinnen sirenengleich den Seeleuten zu und lockten sie ins nasse Grab. Die Insel sei reich beschenkt durch das Füllhorn der Nordsee. Gemeint war – so vermutete Folkeldis – die legale bis illegale Verwertung von Strandgut. Durch die Arbeit als Schankmaid kannte Folkeldis aber auch die Verwalter des Greetmer Amtes, welches für diese Insel zuständig war. Voll des guten Bieres erzählten auch sie am Tresen und Folkeldis machte sich ihren Reim darauf. Sie verstand die drei Sprachen der Friesen sehr gut: Platt, ganz Platt und über Andere. Verschmitzt lächelnd begab sie sich zur Ruhe ohne ihren Gatten zu wecken. Irgendwann würden sie vielleicht auf dieser mysteriösen Insel eine Schänke eröffnen.

 

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