Von namenlosen Toten und Wiedergängern

Von namenlosen Toten und Wiedergängern

Drinkeldodenkarkhof

Im Laufe der Jahrhunderte kam es immer wieder einmal vor, dass nach einem Sturm oder einem Schiffsuntergang die Körper ertrunkener Seeleute angespült worden sind. Im Schnitt waren das zwischen 12 bis 25 Tote im Jahr, die man in einem oftmals sehr desolaten Zustand an den Stränden fand. Die Begräbnisplätze für Ertrunkene werden oft auch „Friedhof“ genannt, obwohl sie im Allgemeinen jedoch keine geweihten Friedhöfe waren.[1] Auf vielen Inseln existiert eine Begräbnisstätte für ertrunkene Seeleute, die häufig nicht auf dem normalen Friedhof der Insel zu finden war. Ein Friedhof auf Plattdeutsch wird „Karkhof“ genannt. Die Ertrunkenen nennt man im Plattdeutschen „Drinkeldode“, was eben ertrunkene Tote heißt. Plattdeutsch ist eine schöne Sprache und das zusammengesetzte Wort ist eben „Drinkeldodenkarkhof“.

Das der Borkumer Drinkeldodenkarkhof nun nicht in der Nähe des eigentlichen Inselfriedhof liegt hat verschiedene Gründe. Zum einen ist da der bereits erwähnte Zustand des Leichnams zu erwähnen. Die in der Regel stark verwesten Wasserleichen waren sehr instabil und damit durchaus ein hygienisches Gesundheitsrisiko. „Zersetzt und vom Fischfraß entstellt wurden Sie auf einen Strand geworfen.“[2] Auf Grund des Zustandes der Körper war es Notwendig, dass die „Drinkeldoden“ also in Strandnähe beigesetzt werden. Der reguläre Inselfriedhof an der Inselkirche war zu weit vom Strand entfernt. Auch waren religiöse Einwände, man konnte nicht sicher sein, ob die namenlosen Toten auch Christen waren, ein weiterer Grund, die gefundenen Körper nicht auf dem christlichen Friedhof beizusetzen.  Außerdem herrschte in der Bevölkerung ein Aberglauben, die aus dem Leben vor ihrer Zeit Herausgerissenen würden keine Ruhe finden können. Darum mussten sie dort beigesetzt werden, wo sie die Toten, die von Gott zu ihrer richtigen Zeit abberufen wurden, nicht in ihrer letzten Ruhe stören konnten. Man traf diesbezüglich gewisse Vorsichtsmaßnahmen, damit die Toten auch in Ihren Gräbern bleiben würden. Die Insel sollte vor sogenannten „Wiedergängern“ beschützt werden.

 Lage des Drinkleldodenkarkhoff auf einer Karte von 1914

Lage des Drinkleldodenkarkhoff auf einer Karte von 1914

Wie sahen jetzt die sepulkralkulturellen Vorsorgemaßnahmen gegen Wiedergänger aus? Hatten die Seeleute einen goldenen Ohrring, wurde dieser dazu verwendet, um den Seemann ein einfaches Begräbnis zu geben. Es wurde ein einfacher Holzsarg angefertigt, in dem sie dann beigesetzt wurden. Die Seeleute trugen damals fast alle einen solchen Ohrring, weil man sicherstellen wollte im Falle eines Falles in einem christlichen Ritus beerdigt zu werden. War jedoch kein solcher Ohrring vorhanden, wurden die wenig ansehnlichen Leichen in Stroh gewickelt und sofern noch ein Kopf vorhanden war einfache Münzen auf die Augen gelegt. Gleich der griechischen Mythologie, wo dem Toten eine Münze in den Mund gelegt wurde als Obolus für Charon, dem Fährmann des Flusses Styx für die Überfahrt ins Reich des Hades bis zur Pforte des Tartaros. Die Hauptvorsichtsmaßname, um vor Wiedergängern geschützt zu sein bestand darin, dem Toten einen Dachziegel auf das Gesicht zu legen. Es war verbreiteter Glaube, dass die Seele den Körper durch den Mund verlässt, um ins Jenseits zu wechseln. Da die namenlosen Toten jedoch wie bereits erwähnt, vor ihrer Zeit aus dem Leben gerissen wurden, hatten diese noch unverrichtete Dinge im Diesseits und waren dazu verdammt auf der Erde umherzuwandern. Man stelle sich nur das Gedränge auf den Stränden vor, die vielen rastlosen Seelen, die hier ihre letzte Ruhe fanden. Darum der Dachziegel, pragmatisch nach dem Motto „Klappe zu – Affe tot“, verhinderte man doch so Schlimmeres. Die gängige Praxis war auf Grund einer Anordnung aus dem Jahre 1780 nach der am Strand gefundene Tote innerhalb von 2 mal 24 Stunden in einer Tiefe von mindestens 3 Fuß zur Erde bestattet werden sollen. [3]

Die Lage des „Drinkeldodenkarkhofs“ war demnach strandnah anzusiedeln. Die hierfür verwendete Fläche lag am Rande der Norddünen. Die meisten historischen Quellen nehmen nur eine sehr vage und wenig genaue Ortsangabe des Begräbnisplatzes vor. Heute wissen wir jedoch sehr genau, dass die Stelle sich nördlich des „Fachklinikum Mutter-Kind Sancta Maria“ befunden hat.  Auf dem historischen Ortsplan von 1927 (Abb. Karte) ist die Stelle mit „Drinkel Doden Kerkhof“ markiert, nämlich dort, wo heute der Spielplatz ist. Wenig zeugt heute davo, dass die Namenlosen hier zu ihrer letzten Ruhe gebettet wurden. Die Parzelle ist bis heute als Flurstück 274 mit einer Größe von ca. 20 x 14 Metern in der Liegenschaftskarte verzeichnet. Die genaueste Angabe findet man im Stückvermessungshandriss der Flur 5 aus der Vermessungskarte Borkum von 1874.[4]

Tönjes Bley einer der letzten Vogte auf Borkum, hatte kein gutes Verhältnis zu den Borkumern. Die tiefe Abneigung ging sogar soweit, dass er sich nicht auf dem Borkumer Friedhof zur letzten Ruhe betten ließ. Als der Vogt mit nur 51 Jahren starb, vermerkte der Pastor der evangelisch-reformierten Gemeinde, Wessel Brons Knotterus im Sterberegister: Tönjes Bley, Examtsvogt, Ehegatte der Occeline Posthma, starb am 10. Mai 1835 des Mittags um 12 Uhr an einer Lungenlähmung als Folge von Asthma und wurde seinem Wunsche gemäß mit seinem eigenen Pferd und Wagen, von einigen Personen gefolgt, nach den Nordwestdünen gefahren und daselbst in der Nähe der große Kape begraben.“ Die Abneigung ging sogar soweit, dass auf dem Walknochen, der seine Grabstelle markierte, das schlechte Verhältnis zu den Borkumern vermerkt war. Später stand an dieser Stelle auch ein eisernes Kreuz, das die Parzelle als Begräbnissplatz zu erkennen gab. Nach dem Krieg 1945 wurde dann das Kreuz abgebaut und an anderer Stelle wiederaufgebaut, wo es in Vergessenheit geriet.

Seit 2009 steht etwas weiter nördlich am Fuß des Großen Kaaps eine Gedenktafel nebst einer Säule, die daran erinnern soll, dass an dieser Stelle einmal der Drinkeldodenkarkhof lag. Nur leider befindet sich die Begräbnisstätte ca. 100m weiter südlich. Somit ist die Gedenktafel leider falsch lokalisiert.

 

Dodemannsdelle

An der Stelle der Gedenktafel für den „Drinkeldodenkarkhof“ beginnt ein Dünental, das auf der Insel als „Dodemannsdelle“ bekannt ist.[5] Des toten Mannes Tal oder Tal des Todes klingt jetzt erst einmal sehr martialisch. Doch betrachten wir den Namen etwas genauer. Dazu müssen wir in der Zeit zurück wandern ans Ende des 18. Jahrhundert.  Im November des Jahres 1792 saßen die Borkumer in ihren Häusern und beten „Herr segne unseren Strand“, außerhalb der heimischen warmen Mauern herrschte Sturm. Das Englische Schiff „The Liberty“ lief in die Osterems und geriet in Seenot.[6] Sie gaben Kanonenschüsse ab um Hilfe durch den Lotsen anzufordern, der jedoch nicht kam aufgrund des heftigen Sturms. So machten sich die Borkumer nach dem Sturm auf, um nachzusehen, was hat der Sturm jetzt an die Strände gespült hatte. Die Borkumer fanden an den Stränden über 300 Leichen der englischen Seeleute. Diese große Anzahl an leblosen Körpern war zu viel für den kleinen „Drinkeldodenkarkhof“, der für eine wesentlich kleinere Anzahl an Bestattungen vorgesehen war. Also hob man in den Dünen ein Massengrab aus, indem man die Engländer begrub. Seitdem nennt man auf Borkum dieses Dünental die Dodemannsdelle. Nur leider stimmt auch hier die Verortung nicht ganz. Die hier angegebene Dodemannsdelle liegt nämlich östlich der Viktoriahöhe heute Strandcafé Seeblick, am Rande der ehemaligen Trennung zwischen West- und Ostland, in der heutigen Waterdelle.

Wiedergänger

Der Aberglaube im 18. Jahrhundert war sehr groß. Wie schon vorher beschrieben wurden Vorsorgemaßnahmen getroffen, damit die Insel vor Wiedergängern geschützt war. Wiedergänger sind rastlose Seelen, die im Diesseits gefangen sind, die noch unerledigte Dinge hier auf Erden hatten, weil sie zu früh gestorben sind. Jetzt wurden diese Verstorbenen in nicht geweihter Erde begraben und so war natürlich die Möglichkeit, so der Aberglaube, dass diese Seelen jetzt auf der Insel umherwandern würden. Oft hört man das Wehklagen dieser Seelen in einer windigen Nacht am Strand. Wer mehr wissen möchte sollte unseren „Stadtrundgang zur Geisterstunde“ mitmachen

Quellen:

[1] Siehe Hasse, Jürgen – Versunkene Seelen S. 149

[2] Siehe Hasse, Jürgen – Versunkene Seelen S. 189

[3] Vergl. auch NLA AU, Rep. 23, Nr. 541 Anordnung vom 6. November 1780

[4] Siehe Hasse, Jürgen – Versunkene Seelen – S. 149209

[5] Siehe Huismann, Die Nordseeinsel Borkum einst und jetzt – S. 75

[6] Siehe Jens Bald Deutsches Schiffahrtsarchiv 22, 1999, S. 141–168