Neue Friesen braucht der Strand – Kapitel 4

Neue Friesen braucht der Strand – Kapitel 4

Klein-Okko und die Renaissance

Hiskos Sohn hatte den eingängigen Namen Okko erhalten. Das dürfte einer 1460er Version von Kevin entsprochen haben. Klein-Okko hatte schon in jungen Jahren die Welt um sich herum mit großen, ostfriesisch blauen Kinderaugen interessiert begutachtet und gelegentlich auch kritisch kommentiert. Die darauf folgenden, verständigen Eingaben seiner liebenden Mutter  wie etwa: „Holl dien Beck, Fent“ oder auch ein: „Ick dreih die´t Lücht ut!“ wurden in aller Regel sachlich und zeitnah mit herzlichen Anmerkungen versehen wie etwa: „Du hest mi nix tau seggen“. Gelegentlich führten diese wortkargen, typisch friesischen Exkursionen in die Philosophie zu Missverständnissen, die dann im nonverbalen Bereich weiter erörtert wurden. Opa Eggena pflegte dann zu erklären: „Grote Beck kann´t hebben, dat en lüttje Maase fien Hochtied fiert…“. Nach Abschluss des Disputes kam dann noch ein „geit doch“ und bis zur nächsten Gesprächsrunde war der Himmel wieder blau – wie wahrscheinlich auch einige Körperteile von Klein-Okko.

Auch das beginnende 16. Jahrhundert war wieder einmal von Umwälzungen gezeichnet

Die Renaissance schlug zu und die italienischen Großbanker entwickelten die doppelte Buchführung. Das heißt gemeinhin: eine für den Fiskus und eine für private Zwecke. Ostfriesland hinkte etwas hinterher, was an der schwachen monetären Lage festzumachen war. Wer kein Geld hat, benötigt auch keine Buchhaltung. Dafür hatten die bodenständigen Friesen aber auch unter den ersten Bankencrashs weniger zu leiden.

In Frankreich tobten zwischenzeitlich die Hugenottenkriege und bluteten das Land – genauer die königlichen  Untertanen – aus. In Russland tobte der erste Zar, Iwan der Schreckliche durch sein Land und blutete es – genauer seine Untertanen – aus. Im deutschen Flickenteppich pressten die Grafen und Herzöge das letzte aus ihren Ländereien – genauer ihren Untertanen. England hob sich unter Elisabeth der I. gerade an seinen Weg zum Empire zu beschreiten, was Spanien zu einem blutig-lukrativen  Handel mit Silber,  Gold und Kupfer auf Kosten seiner lateinamerikanischen Kolonien ermutigte, um mit den astronomischen Einkünften andernorts kostspielige Scharmützel gegen das Empire führen zu können. Es war also insgesamt  eine etwas blutleere Zeit. Die Medizin entwickelte hierfür den Begriff Anämie.

Trotz allem gab es auch hoffnungsvolle Entdeckungen und Erfindungen

Columbus hatte von seiner Shoppingtour nach Westindien neben Tabak auch  Pataten (Kartoffeln) mitgebracht, die ab sofort im Einzelhandel käuflich zu erwerben waren. Der Entwicklung von Currywurst-Pommes-Schranke und Chips stand nun nichts mehr im Wege und als dann noch Mais für Popkorn hinzukam, brachen sich Hollywood und gesunde Ernährung Bahn – oder das Genick, Je nach Sichtweise.

Klein-Okko war mittlerweile geschossen-erst in die Höhe und dann in die Breite. Die ostfriesische Küche ist halt sehr gehaltvoll und es nutzt dann auch nichts mehr, wenn man gut calvinistisch als Mahnung gegen die Völlerei nur einen Keks zum Tee zu sich zu nimmt. Okko war tatsächlich früh zum Calvinismus konvertiert. Eigentlich eine monetäre Frage, denn bei all den begangenen Sünden wurde der Ablass langsam zu teuer. So stand denn der Auswanderung nach Borkum nichts mehr im Wege.

Anno Domini 1576 hatte die Emder Kaufmannschaft genug von vor Borkum havarierten Kauffahrern und beschloss den Bau des „Alten Turmes“. Okko frohlockte: Arbeit in der neuen Welt. Okko sinierte: Lebensunterhalt durch Arbeit? Okko rechnete: Wenn ich die Kosten halbiere und jemanden finde, der meine Hälfte übernimmt, dann geht das auch ohne Arbeit. Okko heiratete: Er war ein lausiger Buchhalter und stellte fest, dass sich die Kosten ob der Nachkommen vervielfachten. Okko fluchte: Damit war das schöne Geld für die Überfahrt weg und die hübschen Insulanerinnen mussten weiterhin ohne den Liebreiz der Familie Poppen auskommen. Zerknirscht und ein wenig wehleidig entschlief er mit den letzten Worten: „Ji könt mi all tausamen…“

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