Vom König der Wattwanderung

Vom König der Wattwanderung

Es gibt über 20 Arten von Würmern im Weltnaturerbe Wattenmeer. Der Star einer jeder Wattwanderung, nicht nur auf Borkum ist aber der Wattwurm (Arenicola Marina) oder Sandpierwurm. Was ihn so besonders macht, ja sogar zum König dieses Ökosystems schauen wir uns einmal näher an.

Den Wurm zu finden ist nicht schwer, macht er doch durch die auffälligen Häufchen auf dem Wattboden auf sich aufmerksam. Dadurch wird es dem Wattführer relativ leichtgemacht, den Teilnehmern einer Wattwanderung ein Prachtexemplar seiner Art zu zeigen. Durch die zur Schaustellung der kleinen Sandspiralen auf dem Meeresboden ist er schnell gefunden. Die Vogelwelt und auch andere, karnivor veranlagte Spezies wissen – zumindest die, die Wattwürmer auf ihre Speisekarte gesetzt haben – unter dem Häufchen ist es lecker. Man kann sich aber auch vorstellen, dass der Wurm keinerlei Bestreben hat, gefressen zu werden.

Der Wurm ist ziemlich Widerborstig

Aus diesem Grund hat ihm die Natur einen Mechanismus mitgegeben, der ihm, oder wenigstens dem Großteil seines irdischen Seins das Überleben sichert.  Der Wurm hat mehrere Borsten am Körper, die er weit in die Wohnröhre bohren kann. Damit verankert sich der Wurm in seiner Behausung und dem Fressfeind wird es schwergemacht, den Wurm zu verspeisen. Außerdem ist der Wurm in der Lage, sich seines oberen Teils des Wurmfortsatzes zu entledigen. Dieser Teil wächst jedoch auf vollständige Länge nach. Wenn man also einmal die Mageninhalte von Wurmgourmets untersuchen würde, käme man zu dem Ergebnis, dass die Hauptnahrung nicht der Wurm selber ist, sondern nur der Schwanz der Würmer.

Der Wattwurm frisst Sand, er frisst sogar viel Sand. Ein einziger Wurm vertilgt etwa 25 kg im Jahr. Der Wurm verdaut die 1-10% organischen Anteile des Wattbodens, die durch den senkrechten Fraßgang in die Tiefe rutschen. Er kriecht rückwärts die L-förmige Wohnröhre bis kurz unter die Oberfläche, um die großen Mengen Sand in spiralförmigen Häufchen wieder los zu werden. Wenn man davon ausgeht, das pro m2 etwa 20 Würmer leben und diese in Wohnröhren von etwa 20cm bis 30cm Tiefe hausen, so kommt der Mathematiker zu dem Schluss, dass die oberen 25 cm des Wattenmeers etwa einmal im Jahr komplett umgewälzt werden. Das erstaunliche ist dabei, dass dies nur durch die Verdauung einer einzigen Spezies garantiert wird.

Der zu den Polychaeten (Vielborster) gehörende Sandpierwurm ist ein wahrer Überlebenskünstler des Wattenmeeres. Der Wurm hat genau wie der Mensch rotes Blut, was auf die Anwesenheit von Hämoglobin deutet. Das Hämoglobin des Wurmes ist aber etwas Besonderes. Aufgrund seiner Beschaffenheit speichert das Wurmhämoglobin bis zu 10-mal mehr Sauerstoff als das menschliche Hämoglobin. Das versetzt den Wurm in die Lage, bis zu einer Woche ohne frischen Sauerstoff auszukommen. Wird die Wohnröhre mit frischem Wasser überspült, dann pumpt der Wurm sauerstoffreiches Wasser in seine Wohnröhre um genug Sauerstoff zu haben.

 Wattwurm auf einer Wattwanderung im Wattenmeer vor Borkum

Wattwurm auf einer Wattwanderung im Wattenmeer vor Borkum

Das Liebesleben des Wattwurms ist eine traurige Geschichte

Der Sandpier ist einer der wenigen Wurmarten, die getrenntgeschlechtlich sind. Da die Würmer Einzelgänger sind, und sie auch nur selten aus ihren Wohnröhren kommen, zumeist auch nur unfreiwillig, kommen sich die Männchen und Weibchen nicht nahe. Sozusagen körperlose Liebe. Außerdem sind die Würmer faul, sie vermehren sich nur einmal im Jahr. Dafür ist er jedoch hoffnungslos romantisch, der Liebesakt wird nur bei Vollmond vollzogen. Der Vollmond im Oktober ist die große Zeit des Wattwurms. Das Männchen gibt seinen Samen bei Hochwasser in die herannahende Flut, das Weibchen gibt die Eier in die Wohnröhre ab. So vollzieht sich die Fortpflanzung, die der reinen Arterhaltung dient.

Schlüpfen jetzt die Larven, werden sie auch schon von der Mutter des Hauses verwiesen. Sie spült die Larven aus der Röhre. Die kleinen Larven wandern jetzt mit der Flut in die besonders nährstoffreichen Miesmuschelbänke, wo sie die nächsten 12 Monate verweilen, sofern sie den Boden erreichen, ohne von den Muscheln gefressen zu werden.  Haben sich die Larven jetzt zu kleinen Würmern entwickelt, brechen sie zu einer weiteren Wanderung auf in das vordere Schlickwatt, wo sie in den nächsten 12-24 Monaten zu größeren, geschlechtsreifen Würmern heranreifen. Der Ruf der Liebe lässt die Würmer ein drittes Mal in das tiefe Schlickwatt wandern. Hier beginnt der Kreislauf des Lebens von neuem. Ab hier ist der Wurm relativ standorttreu und wird nur ab und an von herumstreifenden Wattführern auf einer Wattwanderung zwangsumgesiedelt.